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ZARM ZentralAlarmRuheMasse
Wandmalerei von AR Penck und Felim Egan im Fallurm, Bremen

Katalogbeitrag Susanne Hinrichs in A.R. Penck - Deutschland, Weserburg, Bremen





Eine echte Höhle für AR Penck

Der Fallturm ist mit seinem 146 Metern Höhe ein in Europa einzigartiges Forschungsgebäude, welches die Möglichkeit zu erdgebundenen Experimenten unter kurzzeitiger Schwerelosigkeit bietet. In ihm befindet sich eine 123 Meter hohe evakuierte Fallröhre in der eine Fallkapsel 4,7 Sekunden herunterfällt und währenddessen innerhalb dieser Kapsel Schwerelosigkeit herrscht.
Als man 1988/89 den Fallturm baute, dachte man bereits eine technische Erweiterung der Möglichkeiten mit, indem unterhalb des Fallturms die Röhre 12 Meter in die Tiefe gestreckt wurde, um hier zukünftig ein Katapult einzubauen, welches die Kapsel noch oben schleudert und somit den Zeitraum der Schwerelosigkeit mehr als verdoppelt. Dieses Katapult konnte jedoch erst 14 Jahre nach In-Betrieb-Nahme des Fallturms realisiert werden.
Dass dieser Raum zwischenzeitlich ein geheimer Ort der Kunst werden sollte, daran hatte wohl keiner gedacht.
Doch diese zwölf Meter tief in die Erde reichende Röhre mit einem Durchmesser von acht Metern, mutete bei meiner ersten Besichtigung an, wie eine moderne, künstlich erschaffene Höhle und mir war sofort klar, dass diese Wände nur von einem Künstler bemalt werden konnten: AR Penck.
Penck galt zu dieser Zeit schon längst als einer der wichtigsten deutschen Maler. Auch wenn klar war, dass sein Werk nicht allein darauf zu begrenzen sei, hatte er sich doch mit seinen STANDART-Bildern als „moderner Höhlenmaler“ im Volksmund einen Namen gemacht. Die Reduzierung seiner künstlerischen Sprache auf Strichmännchen und kodierte Zeichen erinnerten stark an die ersten Malereien der Menschheitsgeschichte, welche man in Jahrmillionen alten Höhlen gefunden hatte.
Nun ab es hier, mitten in Bremen einen Ort, der unterirdisch lag, der Öffentlichkeit nicht zugänglich war und der auf seine eigentliche Bestimmung wartete. Seit 1992 hatte der Fallturm bereits als Kunstort auf sich aufmerksam gemacht. In der „Galerie im Fallturm“ konnte man an ungewöhnlichem Ort Ausstellungen von namhaften Künstlern wie Felix Droese oder Sam Francis sehen.
Mit der Idee „Die Höhle“ von AR Penck künstlerisch gestalten zu lassen, stieß ich bei Prof. Hans Rath, damaliger und heutiger Leiter des Instituts ZARM, auf offene Ohren. Er war von Anfang an begeisterter Wegbereiter des Projektes und scheute keine Kosten und Mühen, es finanziell auf die Beine zu stellen.
Also schickten wir AR Penck eine Ideenskizze des Vorhabens und Fallturm-Material. Nur 3 Tage später erreichte uns ein Fax: „… es ist sicher möglich, etwas im Fallturm zu machen…, Hochachtungsvoll, ar penck“. Nach einem weiteren Tag rief er an und schon steckten wir mitten in Terminabsprachen, Klärungen von Detailfragen und der Vereinbarung, dass sein Künstlerkollege Felim Egan aus Dublin im Sinne einer irisch-deutschen Kommunikation mit von der Partie sein würde.
Es vergingen 5 Monate, die Prof. Rath und ich nutzten, an den Vorbereitungen zu arbeiten, zum Beispiel den Einbau einer Treppe die komfortabel auf die acht Meter hoch gelegene Besichtigungs-Plattform der Höhle führt, ohne dabei aus den Augen zu verlieren, daß diese ungewöhnliche Ausstellung inmitten einer Forschungseinrichtung passieren sollte.
Nachdem mein Mann und ich im Vorfeld die schweren Stahlreliefs aus Pencks 600qm großen Atelier in Berlin-Wedding abgeholt hatten, reisten Penck und sein Kollege Felim Egan eine Woche vor Eröffnung an. Auf meine naive Frage, wie ich ihn denn nun nennen sollte – Herr Penck oder Herr Winkler – antwortete er lapidar: „Sag einfach Ralf“ . Sofort war klar, dass die Kommunikation nicht leicht werden würde. Während meines Studiums hatte ich mich intensiv mit Pencks Werk befasst und brannte nun vor lauter Fragen, die ich hoffte, in den nächsten Tagen loswerden zu können und Insiderantworten zu erhalten. Doch viel geredet wurde nicht. Manchmal, so schien es, wurden alle Fragen in einem einzigen Redeschwall beantwortet, sodass ich kaum mitkam - dann wieder Funkstille.
Zunächst wurden die nötigen Utensilien – Farben, Pinsel, Kohlestifte, Papiere etc. – besorgt und noch am selben Tag machte sich Penck an die Arbeit. Allerdings nicht, wie vermutet, direkt auf dem 12 Meter hohen Gerüst in der Röhre um die Wände zu bemalen. Nein, die ersten Tage entstanden in der Werkhalle Zeichnungen auf DINA3 Blättern und am Abend nach einigen Calpirinhas zahllose Skizzen in einem kleinen Buch. Immer wieder holte Penck das Buch aus seiner Hosentasche, in der er es den ganzen Tag mit sichführte.
Während Egan draussen im Hof mit sichtbarem Erfolg an seinen Balken schnitzte, wurde ich nach 3 Tagen langsam unruhig, als immer noch kein Pinselstrich an unseren Wänden war. Was dann innerhalb von 2 Tagen in den Tiefen des Fallturms entstand, erstaunte. Penck begann auf der untersten Ebene des Gerüstes mit einem menschlichen Fuß, kletterte auf die zweite Ebene, um das Bein fortzusetzen und den Unterkörper zu beginnen, griff diesen auf der dritten Ebene auf und vollendete den menschlichen, langezogenen dürren Körper auf der obersten Plattform mit Schultern und Kopf. Die Arme umspannen von links nach rechts ca. vier Meter Wandfläche. Ohne vorherige Markierungen, ohne konkrete Vorzeichnungen auf einem Platt Papier entstand an den Wänden der Höhle innerhalb kürzester Zeit ein Panorama zweier menschlicher Figuren, durchdrungen von Zeichen und Formen, die absolut Pencks Formensprache einlösten und auf diesen Dimensionen in einer Präzision gesetzt wurden, die verblüffend war. Penck wusste genau, was er tat. Er zögerte an keiner Stelle. Auch hatte man nicht die Möglichkeit, einen Schritt zurück zugehen, um aus einiger Entfernung das Gesamte zu betrachten. Das Gerüst füllte den ganzen Raum und ein Überblick konnte ohnehin nur von der etwa auf 8 Meter hoch gelegenen Eingangsebene gewonnen werden. Als seine Assistentin forderte er mich auf, einige eingezeichnete Flächen auszumalen und so standen wir gemeinsam im Blaumann in der Höhle und arbeiteten still an seinem Werk.
Penck hat nie viel darüber gesprochen, was genau er erzählen will mit dieser Arbeit, doch erinnern diese zwei Figuren, welche sich von rechts und links kommend die Hände entgegen strecken, ohne sich wirklich zu berühren an Michelangelos Darstellung der Erschaffung des Adam in der Sixtinischen Kapelle. Doch Pencks „Adam“ auf der linken Seite ist als Mensch zum Scheitern verurteilt. Er gerät ins Stolpern und stürtzt hinab in ein schwarzes Loch. Über allem wachsam ein Auge.
Zwei große Stahlreliefs hängen von der Aussichtsplattform nicht einsehbar an der unteren Wand. Sie sind die Wächter, deren Aufgabe es ist 2000 Jahre die Höhle zu bewachen, bis sie eines Tages von Höhlenforschern der Zukunft entdeckt wird. Penck wollte einen geheimen Ort der Kunst schaffen. Nur wenige Wochen war der Raum der Öffentlichkeit zugänglich, seitdem wurde er nur noch von wissenschaftlichen Mitarbeitern des ZARM betreten und das ist ganz im Sinne des Künstlers.
Inzwischen wurde auch die Katapultanlage eingebaut, wobei darauf geachtet wurde die Wandmalereien nicht zu beschädigen.
Leider werden wir wohl nicht mehr erfahren, was die Menschheit in 2000 Jahren über dieses Werk denken wird, aber das Wissen an der Realisierung eines solchen Werkes mitgewirkt zu haben halt noch lange nach.