WAS SCHLÄFT- Künstlerische Visionen des SchlafensKatalogtext Susanne Hinrichs, Syker VorwerkSchlaf ist Hineinkriechen des Menschen in sich selbst." - Christian Friedrich Hebbel, Tagebücher, 1839 Schlafen ist ein unumgängliches Muss. Die individuelle Zeitperiode in der ein Mensch schläft, ist Regeneration und gedankliche Sortierung zugleich. Für den einen ist es ein notwendiges Übel, für den anderen Lebens-Elixier. Es steht außer Zweifel, dass der Schlaf alle irdischen Lebewesen auf die eine oder andere Weise tangiert. Daher ist die intensive Auseinandersetzung mit dem Schlaf legitim. Wer sind wir in der Zeit des Schlafens, die ca. ein Drittel unseres Lebens umfasst? Wohin bewegen wir uns, während wir schlafen, was tun wir in dieser Zeit der Ruhe, die nach Außen nahezu völlige Leblosigkeit vermittelt? Die wissenschaftliche Schlafforschung hat in den letzten Jahrzehnten grundlegende Erkenntnisse über den Schlaf errungen. Sie beschreibt ihn als einen äußeren Zustand der Ruhe, bei dem Atemfrequenz und Blutdruck sinken und sich die Gehirnaktivität verändert. Die Empfindlichkeit gegenüber Licht, Berührung und Geräusche nimmt erheblich ab, wobei das Schließen der Augen die Abschottung nach Außen unterstützt. Der dann folgende Schlaf teilt sich, hinlänglich bekannt, in verschiedenartige Phasen auf. Die Wissenschaft spricht von fünf Stadien, die vom leichten Schlaf bis Tiefschlaf (Stadium I bis IV) das fünfte Stadium, den REM-Schlaf oder auch Traumschlaf erreichen. Etwa alle 90 Minuten wiederholt sich diese Abfolge, wobei die Tiefschlafphasen zeitlich abnehmen und die REM-Phasen zunehmen. Das Schlafverhalten und sein Hygiene unterlagen im Laufe der Jahrtausende Wandlungen, die nicht zuletzt durch die Entdeckung der Elektrizität und kultureller Umstrukturierungen, wie das Verhältnis von Arbeits- und Freizeit und der Arbeitsbelastung, bestimmt wird. Schlaf hat seit jeher Künstler interessiert. Die Ausstellung „Süßer Schlummer – Der Schlaf in der Kunst“, welche 2006 in der Residenzgalerie in Salzburg gezeigt wurde, belegte eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Schlaf vom 4. Jahrhundert v. Chr. bis in unsere heutige Zeit. Zu sehen waren schlafende Bauernmädchen auf dem Feld, Kinder in ihren Wiegen, Paare in der Natur und zumeist Frauenkörper, sich auf Liegen räkelnd. Aber auch mythologisch konnotierte Abbildungen, wie schlafende Engel, der Gott des Schlafes Hypnos oder die schlafende Antiope, der sich Jupiter in der Gestalt eines Satyrs nähert, sowie biblische Szenen des schlafenden Jesuskindes, Jacobs Traum oder dem schlafenden hl. Petrus sind dort versammelt. (Erika Oehring (Hg.), „Süßer Schlummer“ – Der Schlaf in der Kunst, Residenzgalerie Salzburg, 15.7.-1.11.2006, Deutscher Kunstvrlg. GmbH München Berlin) Die Ausstellung „was schläft“ – Künstlerische Visionen des Schlafens hält eine andere Sicht auf den Schlaf bereit. Sie zeigt bewusst nahezu keine Abbildungen von Schlafenden. Die zu dieser Ausstellung eingeladenen Künstler/innen erforschen ihren eigenen Schlaf oder den anderer seit Jahren, betrachten den Schlaf von individuellen Blickpunkten aus und thematisieren den Schlaf in ihrer künstlerischen Produktion ganz neuartig. Dabei kommen sie dem, was Schlaf ist, oder sein kann, sehr nahe, nicht indem sie kulturhistorisch angelehnt Schlaf-Geschichten bebildern, sondern den Takt des Schlafens, seinen Besonderheiten und Absurditäten nachspüren. Schlafbedingungen, Schlafrhythmen- und sequenzen werden betrachtet, immer unter der Fragestellung wer oder was schläft in uns. Nicht alle Arbeiten sind unmittelbar vor dem Hintergrund „Schlaf als Thema“ entstanden. Doch ihr Rhythmus, ihre Aura sowie ihre Entstehungsweisen lehnen sich gewollt oder ungewollt an Erfahrungen an, die der Schlaf uns jede Nacht lehrt. Der Traum bleibt dabei weitestgehend außen vor. Seit etwa 13 Jahren erforscht der französische Künstler Virgile Novarina seinen Schlaf. War er doch ursprünglich auf dem Weg Mathematiker zu werden, begann er eines Nachts mit wissenschaftlicher Akribie seinen Schlaf zu beobachten. Jeden Morgen notierte er seine Träume, hielt fest, wo und wie lange er geschlafen hatte. Novarina konditionierte sich in den folgenden Jahren dahingehend, dass er in kurzen Wachphasen zu zeichnen und zu schreiben begann. Immer Papier und Stift neben sich liegend, notiert er seither „ecrits de nuit“, Schriften der Nacht. Das können kurze Sätze sein, mit oder ohne Zeichnung, die im Dunkeln innerhalb weniger Sekunden unmittelbar nach dem Erwachen aufgezeichnet werden. Novarina beschreibt diese Wahrnehmungen als Blitze, die nur in einem Bruchteil einer Sekunde im Moment des Erwachens auftauchen und somit nicht bewusst „gedacht“ sind, sondern aus dem Schlaf herauskommen. Dabei unterscheidet er zwischen Traum und jenen Blitzgedanken, die, wie er behauptet, nicht im Sinne eines Traumes die Verarbeitung des Tages beschreiben, sondern eine Ebene festhalten, die er selber noch nicht erfasst hat. Die nachfolgende Lektüre wissenschaftlicher Abhandlungen über den Schlaf ließ ihn erkennen, dass er eigenständig erkannt hatte, was die Forschungen in Schlaflaboren belegen: wir erwachen während des Schlafes mindestens 5-8 Mal in der Nacht. In der Regel können wir uns an diese wenigen Sekunden dauernden Momente nicht erinnern, doch Novarina hatte diesen Zyklus bei sich entdeckt. Bemerkenswert ist, dass während Auslandsaufenthalten nach wenigen Tagen die jeweilige Sprache, in der er dort kommuniziert, in seine „ecrits“ einfließt. So entstehen Schriften, die teilweise drei Sprachen gleichzeitig aufgreifen. Wann und ob Novarina in einer Nacht schreibt, kann er ebenso wenig beeinflussen, wie einen Traum zu haben. Doch die annähernd 5000 Blätter, die bereits entstanden sind, zeugen von einer Kontinuität des Wissen Wollens: Wer bin ich im Schlaf? Im Februar 2008 erfüllte sich ein langgehegter Wunsch Novarinas, als er zum ersten Mal in einem Schlaflabor übernachten konnte. Angeschlossen an zahlreiche Kabel, die jede Bewegung, Temperatur, Muskeltonus, Gehirnströme etc. festhalten, verbrachte er dort eine Nacht (leider ohne Zeichnung). Das Somnogramm erscheint wie eine Zeichnung, die Novarina mit seinem Kopf gesteuert hat. Sie gibt dem Gesamtwerk eine neue Dimension, die belegt, dass diese Forschungsarbeit noch lange nicht abgeschlossen ist. Thea Herold hat sich ebenfalls in ein Schlaflabor begeben. Allerdings erforschte sie dort nicht ihren eigenen Schlaf, sondern den der Patienten. Die „Avison“ genannte Schreibaktion fand im Herbst 2003 im Schlaflabor der Berliner Charité statt. Ausgehend von der Fragestellung, wie der Patient geschlafen habe, stellt Herold dem medizin-technischen Befund des Labors eigene handschriftliche Aufzeichnungen gegenüber, die in dem Moment des Erwachens des jeweiligen Patientens entstehen. Kaum spürbar anwesend befragt Herold den soeben sich im Übergang von Schlaf und Wachsein befindlichen Probanden nach den Empfindungen seines Schlafes. Sie spürt mit ihrer subjektiven Wahrnehmung dessen Zustand nach, indem sie seine lauten, leisen, verworrenen oder klaren Aussagen auf ihr bereitliegendes Papier handschriftlich fließen lässt. Diese subjektive Wahrnehmung der Nacht, die bisher in der Schlafmedizin kaum eine Rolle spielt, eruiert eine mögliche Relevanz zukünftiger therapeutisch nutzbarer Ergebnisse. Je nach Stimmungslage des Befragten, der am Abend zuvor sein Einverständnis zu der Aktion gegeben hat, variieren die zeichnerischen Ergebnisse. Da türmen sich Berge von Worten auf, kringeln sich Satzfetzen zu Spiralen oder Wellen. Die Buchstaben sind mal groß und lang gezogen, mal werden sie klein und wispern leise vor sich hin. Manch Aussage fließt verschämt aus dem Bild heraus, wogegen eine andere selbstbewusst und laut sich in die Mitte des Blattes pflanzt. Thea Herold, die zwar ihre eigene Handschrift nutzt, welche auch eindeutig zu identifizieren ist, hat man mal einen handgeschriebenen Brief von ihr erhalten, verfügt über einen ebensogroßen Variantenreichtum, wie die Anzahl der verschiedenen Persönlichkeiten ihrer Protagonisten. Dabei steuert sie den Prozess so wenig wie möglich. Sie nimmt sich als Person weitestgehend zurück und lauscht. Was sie wahrnimmt, bewegt sich vom Ohr direkt in die Hand, wie um diese zu dirigieren. Die poetische Serie der Zeichnungen, deren Titel ein Neologismus mit lateinischen Wurzeln aus „avidere“ (sehen) und „somno“ (schlafen) ist, bebildert ein Stadium, welches kurz vor dem bewussten Erwachen die Präsenz des Schlafes offenhält und uns ein wenig darüber zu verraten mag, wer wir nachts sind. Wer sind wir in der Nacht? Was denken wir, was fühlen wir? Denken wir überhaupt? Ist es möglich in der Nacht zu fühlen? Der Traum ist uns allen als Begleiter der Nacht vertraut. Manche können sich am morgen gut an ihre phantasievollen Nachtstunden erinnern, andere vergessen mit dem Erwachen alles Geträumte. Doch wenn man der Theorie folgt, dass das, was wir in wortgewandten Geschichten als Traum beschreiben, nur in einem Bruchteil von Sekunden als Bilder vor unserem inneren Auge abläuft, was ist dann mit dem Rest der Nacht? Während Virgile Novarina dieses zu ergründen sucht, indem er seine blitzartigen Gedanken zu Papier bringt, zeichnet der Chicagoer Paul Dickinson seine des Nachts im Schlaf gesprochenen Worte auf. 1986 begann er damit ein Aufnahmegerät neben sein Bett zu stellen, welches nur ansprang, wenn er sprach. Im Laufe der letzten 20 Jahre sind soviele Sätze, Wortfetzen, Uhhms, Mmmmhs und Aaahs zusammen gekommen, dass sie inzwischen eine ganze CD füllen. Ähnlich, wie Novarina seine nächtlichen „ecrits“ am morgen in Reinschrift überträgt, kann man auf dem Cover der CD die oft unverständlichen Worte mitlesen. Der Soundkünstler, der sich seit jeher mit ungewöhnlichen Geräuschquellen beschäftigt, schafft mit diesem Mitschnitt ein Konvolut nächtlicher Gedanken. Doch die Frage bleibt im Raum, woher diese Textfragmente stammen. Oft zusammenhanglos, unlogisch und grammatikalisch völlig absurd, scheinen sie nicht dem Born eines Traumes zu entspringen, indem, wie wir vermuten, in größeren Kontexten gedacht wird. Es bleibt zu vermuten, dass es sich hier um eine unterbewusste Ebene handelt, die uns im Wachsein und auch im Traum verborgen bleibt. Somit bringt uns dieses Hörbuch womöglich einen kleinen Schritt weiter auf unserer Suche nach dem Sein während des Schlafes. Ein Auge ragt groß und übermächtig aus dem Boden. Sein Lid bleibt geschlossen. Zu sehen ist nur der sich darunter in Bewegung befindliche Augapfel. REM – Rapid Eye Movement nennen die Schlafmediziner dieses Schlafstadium. Lieselot IJsendoorn entwickelte 2006 in Zusammenarbeit mit Stefan Demming diese Videoskulptur. Der Betrachter benötigt Geduld, denn das Auge mit dem Titel „Rouse“, was zu deutsch „wecken/ aufwecken/ enthüllen“ bedeutet, bleibt lange geschlossen, bis es sich für einen nur kurzen Moment öffnet, um sogleich wieder zuzufallen. Hat man zuvor die Arbeiten Novarinas betrachtet, fühlt man sich sogleich an jenen Moment des Erwachens erinnert, in denen er seine Zeichnungen anfertigt. Der flüchtige Augenblick – hier im wahrsten Sinne des Wortes zu verstehen – zieht seine ganze Aufmerksamkeit auf sich und lässt uns gespannt warten, wann er sich ein nächstes Mal vollzieht. Warum sich das Auge gerade zu diesem Zeitpunkt öffnet, bleibt ebenso verborgen, wie das immer wiederkehrende Wachwerden ca. alle 90 Minuten während eines Schlafes, welches in der Regel unbemerkt bleibt. Wie ein Zeitraffer erscheint der Loop IJsendoorns symbolhaft für die Phasen der Nacht. Doch die Interpretation der Künstlerin geht noch weiter: Eine Studie über die Wahrhaftigkeit von Schlaf, Traum und Sterben nennt sie die Arbeit. Ein beständiger Wechsel von Wahrhaftigkeiten und Realitäten, der uns umgibt – Tag und Nacht. Die Arbeiten der beiden Künstler/innen Maria Leena Räihälä und Reynold Reynolds sind nicht vor dem Hintergrund des Themas Schlaf entstanden, und haben dennoch viel mit ihm gemein. Maria Leena Räihälä ist eine Zeichnerin, die ihre Originale durch digitale Bearbeitung zu kurzen Animationen und Prints erweitert. Ihr Hauptmotiv ist dabei eine weibliche Protagonistin, deren Wandelbarkeit Räihälä in endlosen Zeichen-Kolonnen unter Beweis stellt. Mit sicherem Strich entwickelt sich die Figur auf dem Papier und unterliegt auf jedem Blatt einer oftmals nur minimalen, zuweilen auch merkwürdigen, Veränderung. Doch gerade hierin liegt die emotionale Stärke und Ausdruckskraft des gesichtslosen Mädchens, welches unendlich viele Gemütsverfassungen zu äußern versteht. Die schwarze Linie auf dem weißen Papier findet ihren Weg wie von selbst. Den Moment des Zeichnens beschreibt Räihälä als einen Moment des Transzendenten. Sie taucht ein in eine andere Welt und entwickelt ihre Figuren von Innen heraus. Sie finden den Weg nahezu mühelos auf die Vorlage. So entsteht in einer Nacht – möglicher Weise - ein Bündel von neuen Werken wie im Schlaf. Die Immaterialität der Bilder und ihr geheimnisvoller Zustand tun ihr übriges, um glauben zu machen, sie existierten nur für eine unwiederbringlichen Moment. Langsam und unaufgeregt rollen die Wellen ans Ufer, an welchem ein Mädchen unbewegt verharrt. Nur seine Haare wehen im Rhythmus der Wellen. Räihälä hat dieses poetische animierte Bild mit dem Atemgeräusch ihres eigenen Schlafes unterlegt und vollzieht damit eine akustische sowie visuelle Deutung dessen, welchem Gemütszustand wir im Schlaf vielleicht unterliegen. Der Film- und Videokünstler von Reynold Reynolds entwickelte im Jahr 2002 gemeinsam mit Patrick Jolley den Kurzfilm „burn“. Mehrere Personen befinden sich in einem idyllischen Einfamilienhaus, welches von innen heraus brennt. Für den Betrachter ist das bedrohliche Szenario ersichtlich, das Resultat ist absehbar. Vorhänge, Kühlschrank, Lampen und Wände brennen, das knisternde Geräusch des Feuers ist allgegenwärtig. Die Protagonisten jedoch bewegen sich durch das Haus, als sein nichts geschehen. Vollständig ignorierend gehen sie ihren Beschäftigungen nach. Sie lesen Zeitung, sitzen auf dem Sofa oder liegen im brennenden Bett. Kein Wort wird gesprochen, alles bewegt sich wie in Zeitlupe. Der emotionale Zustand einer Gesellschaft, der hier geschildert wird, lässt erahnen, dass jenes in sich gefangen sein, welches bemühen Geheimnisse zu bewahren, Lügen und Ängste zu verbergen, Grund ist für die Ignoranz gegenüber der herannahenden Katastrophe. Reynolds versetzt seine Figuren in ein schlafähnliches Stadium, welches eine Reaktion ihrerseits verhindert. Obwohl das Drama unübersehbar scheint, ist die Möglichkeit zu agieren unterbunden. Sich dem Schicksal unterwerfend, verfolgen Mann und Frau ihren individuellen Plan. Sie kapitulieren vor dem Übermächtigen. Jene Bilder erinnern an Momente des Schlafens, in denen der Schlafende sich einem Unglück gegenüber sieht, nicht aber in die Lage versetzt wird zu handeln. Immer und immer wieder versucht er Rettungsaktionen, die aber jedes Mal scheitern, bis die Bilder dahinfließen und nur noch beobachtet werden können. Resignation breitet sich aus. Wie in Reynolds Film, der als Loop angelegt ist, kehren auch die Bilder im Schlaf in einer Endlosschleife wieder, solange bis der Schläfer erwacht. Die folgenden beiden Künstlerinnen könnten Augenzwinkernd unter der Kategorie „wie man sich bettet, so schläft man“ vereint werden. Auch wenn sich hier zwei sehr unterschiedliche Herangehensweisen zeigen. Die in Brasilien geborenen Künstlerin Claudia Medeiros Cardoso begibt sich regelmäßig zurück in ihre Heimat, auch wenn sie seit vielen Jahren in Deutschland lebt. Zahlreiche ihrer performanceartig angelegten Arbeiten entstehen in São Paulo. Als Resultat bleiben Fotografien, die ihrerseits oftmals im Ausstellungsraum individuell arrangiert werden. Für die vorliegende Arbeit „Verschwindet!“ fotografierte Cardoso zunächst den Fußboden der Fußgängerzone São Paulos ab. Dieser belebte Stadtteil mit Händlern aller Art auf den Straßen, ist auch Plattform für zahlreiche Obdachlose der Stadt, die hier versuchen, einen Teil ihrer Lebenskosten zu verdienen. Der grau-gemusterte Fußboden, der die Kontur des Bundeslandes São Paulos abbildet, ist für viele das Fundament, auf dem sie überleben. Ob er als wohldurchdacht gestalteter Trottoir wahrgenommen wird, bleibt dahingestellt. Die Künstlerin fertigte aus den fotografischen Ausschnitten des Bodens eine Decke und bat Fußgänger sich darunter auf den Boden zu legen. Nur wenige, meist Obdachlose, folgten ihrer Aufforderung. Was ist das für ein Gefühl, auf einem belebten, schmutzigen Asphaltboden zu liegen, unter einer Decke, die eben jenen abbildet? Kann dies in der Tat ein Platz zum Schlafen sein? Die Blicke der anderen auf sich gezogen? Werden diese Menschen überhaupt noch wahrgenommen, oder verschwinden sie vielmehr unter der Asphaltdecke, weil sie es einerseits wollen, andererseits der Bodenbelag ohnehin nicht mehr von den vorbei strömenden Passanten wahrgenommen wird. Doch eben dies ist das Schicksal der 1000den von Obdachlosen in einer Stadt, die täglich wächst und in der soziale Strukturen nur minimal ausgeprägt sind. Diese sozialkritische Arbeit der Künstlerin, will in erster Linie bewusst machen, die Augen öffnen, für die Situation auf der Straße lebenden Menschen ihrer Heimat. Nicht von ungefähr präsentiert sie die Fotos der Performance auf Demonstrationstafeln im Ausstellungsraum. Der Schlaf unter jenen Bedingungen ist ein anderer. Er ist geprägt von Kälte, Angst und der ständigen Suche nach einem neuen Ort. Wie man sich bettet, so schläft man. Für die Momente des Schlafens nähte sich die Berliner Künstlerin Karoline Kroiß zwei Schlafsäcke, die genau ihrer Körperform entsprechen. Sie bieten die Möglichkeit komplett in ihnen zu verschwinden, sodass weder der Kopf noch Füße oder Hände sichtbar bleiben. Der Schlaf wird hier aufgefasst als ein äußerst intimer Vorgang, der abgeschirmt von der Öffentlichkeit stattfindet. Ganz im Gegensatz zu Cardosos Obdachlosen, die sich während des Schlafes in einem zumeist schutzlosen Raum befinden, bleibt Kroiß hermetisch abgeschlossen. Der Schlafsack bietet nicht nur Sicherheit, sondern auch Wärme, Geborgenheit und Dunkelheit. Wie ein Kokon umgibt er die schlafende Person und wird so zum rotleuchtenden Sinnbild einer Schlafstätte. Als Malerin wählt Kroiß einen anderen Weg. Ihre schlafenden Figuren, welche sie selbst verkörpert, liegen schutzlos, entspannt und wehrlos in einem nur minimal definierten Raum. Ein Boden, eine Rückwand, vereinzelt eine Ecke. Die Farbigkeit ist reduziert. Zwei, maximal drei Farben, die in unterschiedlichen Nuancen changieren. Rot ist dabei die einzige Farbe, die Leuchtkraft besitzt, alle anderen Farbwerte sind gedeckt. „Die Träumerin VII“ scheint im Raum zu schweben. Den Kopf vom Betrachter abgewandt gleitet sie hinüber in eine andere Dimension des Seins. Die roten Kreise an der Wand, angeordnet wie ein Tapetenmuster ergreifen Besitz von der schlafenden Figur. Die Grenze zwischen Realität und Fiktion, Gegenständlichkeit und Abstraktion wird an genau jener Stelle aufgehoben, an der die roten Kreise der Wand über das Kleid der Frau wandern. Es symbolisiert den Zustand des Schlafens auf eigene Weise. Körperlich anwesend, atmend, aber nicht sehend, hörend oder wahrnehmend. Gedanklich in einer anderen Welt. Aber in welcher? Simone Farner begreift den Schlaf als einen Ort, um sich von der Zeit zu lösen. Zeit umgibt die Welt allgegenwärtig. Der Mensch ist in ihr gefangen, wird von ihr getrieben. Sie lässt sich nicht abstreifen. Zeit bedeutet eine unseren Lebensrhythmus bestimmende Dimension, zu jeder Zeit, immer und niemals endend. Die einzige Gelegenheit, die bleibt, Zeit nicht wahrzunehmen, ist der Schlaf. Nur der Blick auf die Uhr verrät, wie lange der Schlaf gedauert hat, subjektiv bestimmbar ist diese Dauer nur ungefähr. Einzig der Schlaf ermöglicht alle Tempi zu vereinen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bedingen sich gegenseitig, durchdringen sich, wechseln sich in loser Folge ab – während des Schlafes, wohingegen der Wachzustand nur eine Richtung kennt: nach vorne. In einer großformatigen Fotografie hält Farner die Dauer des Schlafens fest. Sie liegt auf einem Sofa und schläft, während eine Kamera mit einer Langzeitbelichtung von 8 Stunden das Bild festhält. Die Gegenstände auf dem Bild, Sofa, Bilder, Wand sind klar und deutlich erkennbar. Sie haben sich während der Aufnahme nicht bewegt. Einzig die liegende Figur ist verschwommen und dokumentiert die Bewegungen der Nacht. Sie scheint zu schweben, befindet sich zwischen dem realen Ort und dem Sein der Nacht. Unter dem Dach des Syker Vorwerk befindet sich ein unter Naturschutz stehendes Fledermaus-Biotop. Die kleinen Nachtwesen haben sich schon vor vielen Jahren dort eingenistet, verbringen dort schlafend den Tag, um in der Dämmerung unter den Dachziegeln hervorzuschlüpfen und draußen nach Nahrung zu suchen. Diesen skurrilen Tatbestand nahm die Videokünstlerin Astrid Nippoldt zum Anlass ihrer Arbeit. Sie installierte eine kopfüber hängende Web-Kamera auf dem Dachboden, um das Bild, welches sich den Dachbewohnern bietet, in den Ausstellungsraum zu übertragen. Da die Schlaf- und Wachphasen dieser Wesen diametral zu den menschlichen Gewohnheiten stehen, ist es nahezu ausgeschlossen, die Aktivitäten zu beobachten. Allein aber der Blick in ihr Reich ist einmalig, leben sie doch zumeist in Höhlen, die nicht zugänglich sind. Der Blick auf die schlafenden Fledermäuse ist ein beruhigender und beunruhigender Moment zugleich. Obwohl so klein an Körpergröße verfügen sie über eine erhebliche symbolische Kraft. Als Dämonen der Nacht tauchen sie auf in zahlreichen literarischen Abhandlungen. Graf Dracula geht des nächtens als Fledermaus auf Beutezug und die Filmfigur Batman begibt sich im Fledermauskostüm auf Verbrecherjagd. Die Fledermaus ist auch ein vielzitiertes Lebewesen in der Kunstgeschichte und verfügt über weitreichende mythologische Bedeutung. Allein Goyas Bild „Die Vernunft des Schlafs gebiert Ungeheuer“ von 1797/8 ist bevölkert von zahlreichen kleinen Vampiren, ebenso wie in Albrecht Dürer´s grafisches Blatt „Die Melancholie“ von 1514 eine Fledermaus den Schriftzug „Melancholie“ hochhält. Nippoldt, die bekannt ist für ihre das Alltägliche zitierenden Videoarbeiten, verschafft dem Betrachter einen poetischen, stilisierten und zugleich distanzierten Blick auf die Dämonen der Nacht. Die unbewegte Kamera liefert ein Livebild, welches undeutlich, dunkel und nur von wenig Aktion geprägt ist. Dennoch übt es eine Faszination dahingehend aus, Verborgenes sichtbar zu machen. „Und von was träumst du heut´nacht?“ Im Aufgang des Treppenhauses wird dem Besucher überraschend diese Frage gestellt. Kerstin Drobek installierte die interaktive Audioinstallation bewusst an dieser Stelle, denn die Treppe, welche vom Erdgeschoss in die erste Etage führt, bildet ein Zwischenstadium. Ursprünglich nicht für Kunstwerke vorgesehen, ist der Moment der Überraschung hier am eindrucksvollsten. Der Ort symbolisiert gleichsam den Übergang von unten nach oben, von einer Ebene in die nächste und kommt somit dem Stadium des Schlafes sehr nah. Auch dieser kann gesehen werden als ein Zwischenstadium. Nicht wach, nicht tot – dazwischen befindet sich der Schlaf. Doch wer könnte schon sagen, wovon er heute Nacht träumen wird? Der Schlaf ist nicht beeinflussbar, ebenso wenig seine Gedanken, sein Spiel, das er mit uns treibt. Der Schlaf ist autark, Träume kommen und gehen, woher sie wollen und wohin wir sie lassen. Die Frage nach dem Traum der folgenden Nacht ist also absurd und surreal zugleich. Dennoch lässt sie aufhorchen. Vielleicht vermag sie dem zukünftigen Traum und auch dem dazugehörigen Schlaf mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Kerstin Drobek ist Performance-Künstlerin. In diese 2007 entstandene Performance bezieht die Künstlerin den Besucher aktiv mit ein. Durch das Passieren eines Sensors wird ein Sampler aktiviert, der die Audioaufnahme des von ihr gesprochenen Satzes startet. So wird der jeder Besucher begrüßt und wieder verabschiedet. Einen sehr eigenwilligen und ganz anders konnotierten Blickwinkel auf das Thema „Schlaf“ werfen zwei Maler. Norbert Bauer und Christian Holtmann zitieren in ihrer Malerei öffentliche Bilder, bekannt durch den vielfachen Abdruck in weltweiten Printmedien. Doch beide gehen unterschiedlich vor. Norbert Bauers Motiv einer Guantanamozelle geht zurück auf eine starke Vergrößerung der Vorlage. Dabei entstehende Ungenauigkeiten werden mit gemalt oder bereinigt. Der Blick in die Zelle ist ausschnitthaft und wirkt zunächst harmlos. Ein Bett, Decken, Wasserflasche, Handtücher – alles ordentlich arrangiert, wird ein Besucher erwartet, der die Nacht hier verbringen soll. Der ordentliche Eindruck suggeriert die grundlegenden Befriedigung aller Bedürfnisse und damit eine kontrollierte Szenerie. Bauer gelingt es aber mit der malerischen Verfremdung ein Unbehagen zu erzeugen, welches die Repräsentationsfunktion der Medienbilder ausschaltet. Die Frage nach Beeinflussung der Vorlage oder nicht, wahr oder falsch, stellt sich nicht. Vielmehr präsentiert sich „der Entwurf einer auf wenige Grundfunktionen reduzierten, vollständig von außen kontrollierten und disziplinierten menschlichen Existenz“ (Bauer). In welcher Form Schlaf unter diesen Bedingungen möglich ist, bleibt fraglich. Die Unterscheidung von Wach- und Schlafzuständen nivelliert sich möglicher Weise auf ein Minimum, denn der Raum ist hell erleuchtet und anders auch nicht vorstellbar. Schlaf als existenzielles Grundbedürfnis ist manipulierbar, Schlafentzug auf Dauer nur schwer auszuhalten. „Guantanamo 3 / Arrangement 2“ zeigt mehr, als ein eine Schlafstätte. Es greift die politische Diskussion um derartige Orte auf und lässt den Betrachter nachdenklich zurück. Die Vorlage aus den Medien dient Christian Holtmann einem anderen Zweck als Bauer. Er vergrößert nicht, verschiebt nicht, sondern überträgt das Bild direkt auf die Leinwand / das Papier. Der malerische Vorgang ist unmittelbar, die kontrollierte Handführung eines Norbert Bauer existiert hier nicht. So verleiht Holtmann seinen „Siebenschläfern“ eine individuelle Handschrift und damit einen nahezu persönlichen Zug. Das Konterfei der „mutmaßlichen“ Attentäter des 11.September, die Piloten und Drahtzieher des Anschlags auf das New Yorker World Trade Center, sind durch die Medien zu einem vertrauten Anblick geworden. Auf Holtmanns Bildern verlieren sie ihren Schrecken. Er malt sie mit geöffneten und mit geschlossenen Augen. „Schläfer“ nennen sich jene Terroristen, die in extra angelegten Camps gut für den Kampf ausgebildet wurden, und teilweise Jahre im Hintergrund auf ihren Einsatz warten. Sie gehen einem mehr oder weniger geregelten Leben nach, bewegen sich unauffällig, sind Nachbarn. Aber sie schlafen. Erst das Zeichen zum Einsatz kann sie wecken, dann beginnt die wirkliche Wachphase, die dann manchmal nur wenige Stunden währt. So unterschiedlich die in dieser Ausstellung versammelten einzelnen Positionen auch sein mögen, eines haben sie gemeinsam: Der Schlaf ist ein äußerer Zustand der Ruhe – aber eben nur ein äußerer. |